Nach eineinhalb Jahren gönnte ich mir zur Abwechslung einen Urlaub, der über die 1 Wochen / 10 Tage - Grenze hinausging. Zwei Wochen und zwei Tage! Welch Luxus, Genuss und Freude! Im Jänner habe ich von Fabiennes und Careys einwöchigen Tanz-Improvisations Workshop in der Natur gehört und sofort beschlossen, dass ich daran teilnehmen werde (6. - 13.8.). Sie haben Faragous, heute Gîte Rural und Veranstaltungsort, einst unter anderem Kirche Notre-Dame de Faragous, im Rougiers ausgewählt. Der nächstgelegene Ort ist Camarès.
Rougiers gehört zu dem zwischen den Städten Clermont-Ferrand, Montpellier und Toulouse gelegenen Département Aveyron. Der Name Rougiers weist darauf hin, dass die Erde dort intensiv rot gefärbt ist aufgrund der Oxidation der einst abgelagerten, stark eisenhältigen Meeressedimente.
Aber nicht nur die Erde ist rot, auch was sich darauf bewegt. So etwa die Wolle der Schafe. Und Schafe gibt es viele – hier kommt nämlich auch unter anderem der berühmte Roquefortköse her, nebst anderer köstlicher Schafkäsesorten. Die Schafherden werden täglich mit Hunden und teilweise mehr als betagten Schäfern hinaus auf die Weiden gebracht und abends wieder retour. Ginger, die dreifärbige Katze von Carey, hat im Laufe der Woche auch mehr und mehr rötliche Färbung angenommen.
Aber zurück zum Anfang. Mit Martines Auto hat der Urlaub bei Regen als Roadmovie begonnen. Martine, Sabine und ich haben Frankreich kommod von Paris südwerstwärts durchquert und waren sehr froh, dass wir Freitag als Abreisetag gewählt hatten. Man möge nicht außer Acht lassen, dass August nach wie vor Urlaubshochsaison in Frankreich ist. Unterwegs verloren wir einen Stück der Rückspiegelverkleidung – auf der Autobahnraststätte hat ein Rüppel einfach das geparkte Auto touchiert. Wenigstens war der Spiegel heil geblieben. Am mittleren Nachmittag erreichten wir das Ziel unserer Tagesetappe – Millau - Hochburg der Handschuh- und Lederfabrikation. Wir bezogen das eher wenig erwähnenswerte Hotel und gingen dank Sabines Recherchen über Millau schnurstracks zur Manufaktur Causse.
Dort sind allerhand Designerhandschuhe und Kollektionen ausgestellt, die wahrlich genial sind. Herr Karl Lagerfeld und seine berühmten Lederhandschuhe finden sich da in den Vitrinen, für diverse Stars gefertigte Modelle etc. Die Leder sind so fein und weich anzugreifen! Ich habe eine Woche später, zwar nicht in dieser Manufaktur, ein Paar Handschuhe - schwarz mit Blumenmuster - bestellt - sie sollten Ende September geliefert werden. Auf Bestellung angefertige Handschuhe hat schon was. Die Singer-Nähmaschinen dürfen auch hier nicht fehlen, denn es wurde auch Einblick in die Handschuhfertigung in Form von Ausstellung gegeben.
Dann ging es auf ins Zentrum des recht belebten und aufgeweckten Städtchens, das zwischen Tourismus, Leder- und Lederwarenfabrikation, Messerfabrikation, Kunsthandwerk, regionalen kulinarische Köstlichkeiten (Käse, Wurst- und Fleischwaren) und Esoterikläden Reichhaltiges zu bieten hat. Paragleiter, Kanuten, Wanderer, Kletterer. Radfahrer kommen in die Gegend um ihrem Sport zu frönen. Es fand übrigens auch Mitte August die Petanque-Weltmeisterschaft in Millau statt.
Die eher aus der Bretagne und dem Elsass, und aus den Niederlanden sowieso, bekannten Sabots (Holzschuhe) die zwecks Sabotage - so die Legende - in die Produktionsmaschinen geworfen wurden, werden auch dort hergestellt. Millau ist diesen Sommer auch in den Schlagzeilen wegen eines Goldschatzes (34 Golddukaten), der sich mitsamt den Findern kurz nach der Entdeckung volatisiert hat.
Millau hat seit 2004 ein Wahrzeichen – Le Viaduc –„ le Pont du Gard du 21e siècle“ – des britischen Architekten Norman Foster. 343m ist der höchste Pfeiler der Autobahnbrücke hoch, die fast 2,5 km lang das Tal überspannt. Technisches Meisterwerk, schonend für die Anrainer, materialsparend usw usf wird das Bauwerk lobend hervorgehoben, und zu dem sogar Exkursionen organisiert werden.
Aber wir wollten ja endlich raus aus der Stadt, und sind unter der Brücke durch, aufs Land Richtung Faragous gefahren.
Nach einer kleinen orientierungsverlustigen Phase standen wir als die drei ersten Teilnehmerinnen an dem Ort, der für eine Woche Ort der Begegnung von insgesamt 19 Leuten, Ort des Tanzes, Yoga, Massage, Musizierens sein würde.
Der Tagesablauf war mehr oder weniger fixiert mit Meditation zwischen 8 und 9h.
Frühstück rund um den großen Tisch in der Küche. Der für die Gruppe fast zu klein war und eher einem Bienenstock glich – denn jeder suchte sich sein Frühstück zusammen, und da fehlte es an Müsli oder Kaffeenachschub war erforderlich, da war etwas aus dem Kühlschrank zu holen, Brot aus dem Toaster zu fischen, Tee zu machen …
10 – 13h Yoga - und zwar verschiedenster Art wie Asthanga, Vinyasa, Acrobatic Yoca, Yin Yoga und dann Übergang zu Tanz standen auf dem Programm.
Jeweils 3 – 4 Leute waren für die Zubereitung des Mittagessens eingeteilt, eine andere Gruppe für Aufdecken und anschließend Geschirr versorgen. Der Rest der Meute konnte die Wartezeit auf das Essen je nach Lust und Laune verbringen. Mittagessen in der Scheune oder wenn es zu kalt war in dem Haus mit Speiseraum.
Gegen 15h ging es dann weiter mit Tanzsessions bis ca. 19h. Anfang der Woche blieben wir eher im Inneren, das Wetter war kühl und regnerisch. Aber das blieb nicht so, so konnten wir auch hinaus in die Natur.
Abendessen kochte Muriel, die Betreiberin der Gîte, für uns. Wir mussten nur Aufdecken, Geschirr versorgen, und dazwischen Essen und Tratschen.
Ein oder zwei Mal hatten wir sogar noch Energien für eine Tanz- und Musikjamsession nach dem Abendessen.
Und wie kann man sich nun vorstellen, wie so ein Improvisationstanznachmittag ablief?
Fabienne und Carey führten uns beispielsweise an einen Ort und luden uns ein, jeder für sich möge sich einen Platz suchen, auswählen, erkunden, beschreiben, zeichnen, fotographieren. Mit ein zwei Aspekten, die wir in den Vordergrund rücken sollten.
Dann wurden wir zusammengetrommelt und in Zweierteams, oder Dreierteams geteilt. Wir führten dann den/die anderen an unseren Ort und tanzten ein Solo, bis alle reihum durch waren. Waren sozusagen sowohl Zuschauer als auch Akteure. Und dann kehrten wir in den Saal zurück und tanzten Duos oder Trios, je nach Wunsch ohne Musik, mit Livemusik, mit Musik aus dem MP3 Player. Die anderen waren nahmen Zuschauerrolle ein.
Eine Auseinandersetzung mit sich selber, mit anderen, Austausch, Bereicherung sind die sichtbaren Früchte von diesem Wechsel von Ort und Rolle. Ich bin immer wieder fasziniert, wie im Augenblick, ohne Absprache, ohne Choreographie, improvisiert so bemerkenswerte Tanzszenen entstehen. Improvisation ist Ausdruck, expressiv, erlaubt Einblicke in oft sehr persönliche, tiefliegende Schichten eines Menschen. Die Spontaneität lässt wenig bis keine Zeit zu täuschen und zu schwindeln, da ist man konfrontiert mit allen Facetten seiner selbst und der Tanzpartner. Im positiver Art und Weise.
Ich wählte einmal einen „japanischen Garten“ mit zugegeben gerade nicht wasserführenden Flusslauf als Schauplatz, Symbol für Fließen, Bewegung, Lauf des Lebens.
Hier ein paar Fotos von dem daraus entstandenen Duo mit Philipp:
Ein anderes Mal wählte ich einen Grat, der wie eine Meereswelle, wie ein tragendes Element in der Landschaft, wie ein Fenster ins Innere der Erde dastand.
Hier ein paar Eindrücke von dem Trio mit Sophie und Béatrice, in dem unsere Solos und Plätze zusammengeführt wurden.
Einen Nachmittag unternahmen wir eine Wanderung, bei der der richtige Abzweiger weniger leicht zu finden war als vermutet, und so waren wir erklecklich länger unterwegs als gedacht und es blieb keine Zeit für die an sich vorgesehene Tanzsession. Ausgangspunkt war das Schloß Montaigut, von wo weg wir auf den Spuren der Gipsabauer unterwegs waren.
Der Weg war nicht schwierig, aber mit 19 Leuten unterschiedlicher Wandertauglichkeit könnte das auch haarig ausgehen. Aber gut ist es gegangen, alle sind wieder wohlbehalten bei den Autos angekommen! Die generell harmonische Stimmung während des gesamten Workshops fand ich bemerkenswert und ich habe das bei dem abschließenden Talking-Stick (eine Art von Feedback-Runde) auch hervorgehoben.
Ab Dienstag geisterte immer öfter das Wort „Solos“ durch die Gespräche und Köpfe. Denn am letzten Tag des Workshops hatte jede und jeder ein Solo vorzuführen. Der Ort, die Musik, das Thema, allfällige Unterstützer konnte jeder für sich festlegen. Ich war geschmeichelt, denn ich wurde von drei anderen zur Unterstützung für ihr Solo eingeladen worden.
Ich selber wählte für mein Solo den Saal. Thierry und Damien sorgten mit Laute und Perkussion für die Musik. Philippe und Carlos waren Darsteller der technoiden Seite der Szenerie und sollten an die auf der von Faragous aus sichtbaren Hügelkette stehenden Windräder erinnern. Natur, Freude, Beweglichkeit repräsentierte ich durch Steine, die ich draußen gesammelt hatte, rote Pölster, rote Matten an der Wand. La Terre Rouge!
Wir hatten vereinbart, dass jeder in ein paar Worten Eindruck, Empfindungen bei dem Solo festhält und der Person, die das Solo getanzt hatte, mitgibt. Ich habe seither mehrmals schon nachgelesen, was mir die anderen mitgegeben haben. Was für Geschenke! Dieser letzte Tag war, vom ersten Solo um 8h bis zum letzten Solo gegen 22h so reich an Kreativität und tollen Vorführungen - wie 5 Abonnements im Thêatre de la Ville!
Ich bin Samstag mit dem zufriedenen Gefühl, hier ein Ganzes, Gesamtes erarbeitet und abgeschlossen zu haben, mit vielen schönen Erlebnissen im Rucksack abgereist.
Copyright: Die Fotos von den Tanzszenen wurden mit Carlos Kamera von Carlos, Damien und Marianna gemacht.